„Fluchthelfer“ erzählt Schülern von seinen Erlebnissen im gefürchtetsten DDR-Gefängnis

Am Ende des Schuljahrs wollen die zehnten Klassen des Litauischen Gymnasiums eine Reise nach Berlin unternehmen und dort auch das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen besichtigen. Als Vorbereitung auf diese Reise hatte die Schulleitung am 27.09.2013 einen Zeitzeugen eingeladen, der wegen Fluchthilfe fast drei Jahre im DDR-Zuchthaus inhaftiert war: Dr. Manfred Görlach aus Heidelberg.

Am Ende des Schuljahrs wollen die zehnten Klassen des Litauischen Gymnasiums eine Reise nach Berlin unternehmen und dort auch das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen besichtigen. Als Vorbereitung auf diese Reise hatte die Schulleitung am 27.09.2013 einen Zeitzeugen eingeladen, der wegen Fluchthilfe fast drei Jahre im DDR-Zuchthaus inhaftiert war: Dr. Manfred Görlach aus Heidelberg.

Manfred Görlach, geboren 1937 in Berlin, verlor seinen Vater im Alter von zwei Jahren. Im Laufe des Krieges wurde er zunächst aus Berlin für ein halbes Jahr ins Sudetenland evakuiert, bevor er 1944 nach Bad Harzburg kam. Da er nur fünf Kilometer von der Zonengrenze entfernt wohnte, musste er den Grenzausbau mit Stacheldraht, Minen, Wachtürmen und später auch Selbstschussanlagen aus nächster Nähe miterleben. Nach dem Abitur 1957 studierte Görlach in seiner Geburtsstadt Berlin an der Freien Universität Englisch und Latein. Bis zum Mauerbau studierten auch Kommilitonen aus dem Ostsektor Berlins an der gleichen Universität. Da nach dem 13. August 1961 jeder Kontakt zu den ehemaligen Mitstudenten verloren gegangen war – Westberliner durften nicht in den Ostsektor reisen –, suchte Görlach als Bundesbürger in Ostberlin nach seinen ehemaligen Kommilitonen. Zwei von ihnen konnten abenteuerlich, aber erfolgreich in den Westen geschmuggelt werden. Der dritte Ausschleusungsversuch ging jedoch schief. Wie es sich viel später nach der Wende und der Öffnung der Stasi-Archive herausstellen sollte, war jedoch kein Verrat im Spiel gewesen. Ein dummer Zufall – eine falsche Hausnummer auf einer Briefanschrift – brachte die Stasi ins Spiel, und bei seinem nächsten Besuch im Dezember 1961 in Ostberlin wurde Görlach verhaftet.

Im weiteren Verlauf seiner Erinnerungen erzählte Dr. Manfred Görlach den 34 Schülern der zehnten Klassen des Litauischen Gymnasiums von der furchtbaren Zeit in Untersuchungshaft, die Verhöre der Stasi, sein wenig hilfreiches Gespräch mit seinen Verteidigern Dr. Reinhard Preuss und Clemens de Maizière (Vater des einzigen Ministerpräsidenten einer wirklich demokratischen DDR, Lothar de Maizière) und seine Verurteilung zu vier Jahren Zuchthaus durch Richter Wohlgethan, den roten „Freisler“ von Potsdam, der wegen seiner scharfen Urteile gefürchtet war. Nach einer erfolglosen Berufung wurde Manfred Görlach in das Zuchthaus Brandenburg gebracht, ein Hochsicherheitsgefängnis, das bereits unter den Nazis im Gebrauch war. Es war die gefürchtetste Haftanstalt der DDR, belegt vor allem mit Gefangenen mit langen Haftstrafen, darunter waren viele zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder. Detailliert berichtete Görlach von den Haftbedingungen, dem Zwang zur Arbeit, der medizinischen Betreuung und dem zwar reichlichen, aber schlechten Essen. Durch hinhaltenden Widerstand versuchte er, sich einen gewissen Freiraum zu schaffen und mit aufrechtem Gang in die Freiheit entlassen zu werden. Nach fast drei Jahren brutalster Haft im DDR-Gefängnis von der Bundesregierung mit Apfelsinen und Bananen freigekauft, wurde Görlach in die Bundesrepublik abgeschoben.

Obwohl seine Freunde überrascht waren, ihn nach den schrecklichen Erfahrungen ungebrochen und nicht traumatisiert begrüßen zu können, war es für ihn sehr schwer, ins bürgerliche Leben zurückzukehren. Er hatte noch sein Staatsexamen nachzuholen, und die Professoren nahmen keine Rücksicht darauf, dass er fast drei Jahre lang kein englisches Buch und keinen lateinischen Text hatte lesen können. Doch Manfred Görlach überwand alle Schwierigkeiten, promovierte und wirkte erfolgreich an den Universitäten Heidelberg und Köln.

Lampertheimer Zeitung
28.09.2013
Anthony Verselis